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Ein Bergdorf im Ausnahmezustand

Normalerweise ist Esino Lario ein verschlafenes Dorf. Jetzt aber beginnt der Ausnahmezustand.
Normalerweise ist Esino Lario ein verschlafenes Dorf. Jetzt aber beginnt der Ausnahmezustand.

Esino Lario ist in idyllisches Bergdorf hoch über dem Comer See. Normalerweise ist hier oben nicht viel los. Ein Zeitschriftenladen, ein Supermarkt und eine Postfiliale, dazu eine Handvoll Bars. Mehr brauchen die knapp 750 Einwohner nicht, um sich wohlzufühlen. In diesen Tagen jedoch strömen Menschen aus aller Welt in die norditalienische Provinz. Für ein Wochenende ist das Dorf das Zentrum der Wikipediabewegung. Esino Lario ist Gastgeber der Wikimania, dem „Wikipedia-Jahrestreffen“. Und das sorgt dafür, dass sich die Einwohnerzahl kurzerhand verdoppelt. Auf den ersten Blick wollen sie nicht so richtig zusammenpassen, das Dorf und seine mit Laptops, Smartphones und unzähligen weiteren digitalen Spielzeugen ausgestatteten Bewohner auf Zeit. Auf den zweiten Blick wird deutlich, wie sehr die Einheimischen auf ihre temporären Gäste gewartet haben. Schließlich haben sie alles dafür getan, um die Wikimania nach Italien zu holen. In einem aufwändigen Bewerbungsprozess setzte sich das Dorf gegen Städte wie Manila durch.

Leuchtende Fahrbahnmarkierungen weisen nicht nur Wikipedianern den Weg.
Leuchtende Fahrbahnmarkierungen weisen nicht nur Wikipedianern den Weg.

Dann ging man ans Werk. Mit unglaublichem Engagement haben die Bürger ihr Dorf herausgeputzt und dabei kaum einen Stein auf dem anderen gelassen. Im Kulturzentrum richteten sie ein Pressezentrum ein, Museum und Grundschule verwandelten sie kurzerhand in Konferenzräume und auch die Fahrbahnmarkierungen erstrahlen seit einigen Tagen in leuchtenden Farben. Spurrillen und Unebenheiten ließ man selbstverständlich beseitigen. Alles soll schließlich wie neu aussehen, wenn die Wikipedianer nach Esino Lario kommen. Zu guter Letzt ließ die Gemeinde eigens für die Wikimania die Straßen aufreißen und eine Glasfaserleitung legen. Denn eine stabile Internetverbindung, das wussten die Bewohner, ist für die Wikimania-Besucher essenziell. Und nach der Veranstaltung wird das Dorf weiter von der besseren Anbindung an das weltweite Netz profitieren.

Nun aber ist es endlich so weit. Es ist angerichtet. Nach und nach tröpfeln die Wikipedianer aus aller Herren Länder ein. Und die Logistik besteht ihre erste Bewährungsprobe. Reibungslos verteilen hunderte Freiwillige die Gäste auf die verschiedenen Unterkünfte, statten sie mit Konferenzmaterialien und Essensmarken aus. Und von letzteren profitiert die örtliche Gastronomie, die ebenfalls keine Mühen scheut, um den Ansturm zu bewältigen und hungrige Mäuler mit schmackhafter italienischer Küche zu versorgen. Es gab schon Wikimanias mit deutlich schlechterem kulinarischen Angebot.

Die Unterkunft versprüht den Charme eines Schullandheims, in dem seit den 1970er Jahren kaum etwas passiert ist, abgesehen davon, dass es zumindest während der Wikimania mit schnellem Internet versorgt ist. Es gibt Zwei-, Drei- und Fünfbettzimmer deren Ausstattung lediglich dafür geeignet ist, darin zu schlafen. Duschen müssen viele meiner Freunde in Gemeinschaftsbädern. Durch einen für mich glücklichen Zufall (eine Wikipedianerin, der ich an dieser Stelle gute Besserung wünsche, sagte krankheitsbedingt ab), habe ich doch noch ein Einzelzimmer mit eigenem Bad ergattern können. Es ist mit Schreibtisch, Stuhl und Schrank etwas gemütlicher möbliert. Alles ist spartanisch, aber abgesehen von den Fünfbettzimmern völlig ausreichend. Betreiber des Heims ist das Päpstliche Institut für die auswärtigen Missionen, dem wohl auch das Kruzifix an der Wand zu verdanken ist.

Zum Espresso reicht man dieser Tage ganz selbstverstädlich Wikipedia-Kekse.
Zum Espresso reicht man dieser Tage ganz selbstverstädlich Wikipedia-Kekse.

Ganz wie es sich für eine Wikimania gehört, ist das Wetter gut. Schon früh morgens ist es draußen sehr angenehm und die Straßen im historischen Zentrum sind schon recht früh mit vielen Italienern bevölkert, die hier – natürlich im Stehen – den einen oder anderen Espresso in einer der vielen kleinen Kaffeebars zu sich nehmen und in intensiven Diskussionen beim Gestikulieren schon mal die Hände verknoten.

Hauptgesprächsthema ist in diesen Tagen natürlich die Wikimania. Und schnell wird auch hier deutlich, dass die überwältigende Mehrheit der Dorfbewohner stolz auf das geleistete und froh ist, dass nun endlich alles losgeht. Ihre Hilfsbereitschaft ist kaum zu übertreffen und Sprachbarrieren reißen sie nach italienischer Art mit Händen und Füßen ein. Schließlich gibt es für jedes Problem eine Lösung – irgendwann.

In wenigen Minuten eröffnet Jimmy Wales, der Hauptgründer der Online-Enzyklopädie das Hauptprogramm der Wikimania.  Ich darf heute Nachmittag  meinen ersten Vortrag halten: How to make a short documentary with a smartphone. Davon werde ich dann morgen berichten. Jetzt wird erst einmal ein Wiedersehen mit Freunden gefeiert.

Zum Einstieg auf meinen Vortrag hier ein kleines Filmchen:


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