Knapp 1.000 Teilnehmer der Wikimania stimmen sich am Donnerstagabend bei einer Party im höchsten Gebäude der Hafenmetropole auf das Event ein. Ein im wahrsten Sinne des Wortes erhebendes Event, dass schon lange vor dem eigentlichen Beginn seinen Lauf nahm.
Postkarten. Für viele Europäer ist es immer noch selbstverständlich, den daheimgebliebenen liebe Grüße zu schicken. In Hongkong scheint das anders zu sein. Denn auf der der Mailingliste fragen immer mehr verzweifelte Mitreisende: „Wo in Hogkong kann man Postkarten kaufen?“ Zugegeben, das ist alles andere als leicht. Zwar gibt es hier so ziemlich alles zu kaufen, was man sich vorstellen kann. Nur Ansichtskarten sind wirklich schwer zu finden. Entweder hat das Schreiben von Postkarten hier keine Tradition (was ich nicht glaube) oder aber die Hongkonger sind inzwischen auch in diesem Bereich vollständig im digitalen Zeitalter angekommen.
Allerdings hatte ich in den vergangenen Tagen in Tsim Sha Tsui eine Wechselstube (!) gesehen, die welche im Angebot hatte. Da diese auf meinem Weg zur Eröffnungsparty liegt, beschließe ich, zu Fuß zu gehen, um die verzweifelten Wikipedianer mit dem raren Kärtchen zu versorgen. Schon nach kurzer Zeit erreiche ich besagte Wechselstube. Und tatsächlich gibt es Ansichtskarten. Motive erscheinen mir zwar etwas alt (so zum Beispiel vom 1998 geschlossenen Flughafen Kai Tak), aber immerhin halte ich welche in meinen Händen. Eine kostet drei Hongkong-Dollar (HKD), also etwa 30 Cent. zwölf Stück, so besagt ein Schild, sind im Angebot sogar für nur 20 HKD erhältlich. Prima, denke ich mir, denn ich wollte eh viele kaufen. Die Auswahl ist eh nicht groß, so dass ich schon nach wenigen Minuten mit zwölf Karten zur Kasse gehe. Zu meiner Überraschung bittet mich der Kassierer, 36 HKD zu zahlen. Ich weise ihn darauf auf das Schild unmittelbar über den Karten hin. Doch das nützt nichts. Dieses Angebot sei derzeit nicht erhältlich, erklärt mir der Mann und beharrt auf der Zahlung von 36 HKD. Das ist zwar immer noch nicht viel Geld, aber irgendwie fühle ich mich verschaukelt. Ich lasse die Karten liegen und gehe. Das wiederum mag der Verkäufer nicht gelten lassen und läuft mir nach. Fragt, warum ich nun plötzlich nichts mehr bei ihm kaufen will. Ich erkläre es ihm mehrfach, doch er weigert sich, meinen Argumenten zu folgen. Immer weiter entfernen wir uns so von seinem Geschäft. Schließlich gibt er entnervt auf und kehrt zurück. Nicht ohne weiter (mit mir?) zu sprechen.
Ich laufe derweil weiter zum Pier der Star Ferry Company am Hafen. Dort konnte ich zu einem guten Preis endlich Postkarten kaufen. Mit ihnen im Gepäck gehe ich ein Stück entlang der Hafenpromenade, die unversehens in ein riesiges Einkaufszentrum übergeht. Ich habe die Wahl, entweder hindurchzugehen oder es zu umgehen und dabei einen Umweg über eine laute Straße in Kauf zu nehmen. Ich entscheide mich für den kürzeren Weg. Beim Betreten der Mall werde ich wieder einmal von 32 Grad auf 18 Grad heruntergekühlt. Viele meiner Freunde hier haben sich auf diese Weise schon eine Erkältung geholt. Davon bin ich zum Glück bisher verschont geblieben. Unangenehm ist der Temperaturunterschied zwischen innen und außen aber schon.
Nach einer gefühlten Ewigkeit und geschätzten vier Kilometern Fußmarsch habe ich das Einkaufszentrum endlich hinter mir gelassen und stehe vor einer riesigen Baustelle. Kein Vergleich mit europäischen Bauplätzen: Die tiefen Baugruben lassen erahnen, dass hier großes entstehen soll. Wie es heißt, sollen Chinesen derartige Projekte doppelt so schnell realisieren können, als es im guten alten Europa der Fall ist. Langsam beginne ich zu verstehen, warum das so ist: Auf dem Areal rennt ein riesiges Heer an Arbeitern herum. Individuen, die scheinbar völlig im Kollektiv aufgegangen sind. Es sieht irgendwie so aus, als ob sie mehrere Bauabschnitte zu gleich erledigen. Die Frage, wer das alles wie koordiniert, bleibt allerdings unbeantwortet.
Endlich lasse ich auch diese laute Baustelle hinter mir und stehe inmitten eines schon fertigen Areals aus riesigen Bauten. Dort treffe ich mich zunächst mit den anderen deutschen Wikipedianern in der Grand Central Bar. Der deutsche Wikimedia-Verein lädt uns auf ein Getränk und zum gegenseitigen Kennenlernen ein. Irgendwie absurd. Da sind wir nun tausende Kilometer von zu Hause und treffen hier zum ersten Mal aufeinander. Trotzdem war es nett, zu sehen, wer sich so alles hinter einem Benutzernamen verbirgt. Schließlich hatte ich mit einigen schon lange Kontakt, ohne zu wissen, wer sie eigentlich sind. Eine interessante Erfahrung. Denn nicht immer sehen die Menschen so aus, wie ich sie mir vorgestellt habe.
Nach einem kurzen Plausch geht es über zum Höhepunkt des Abends, der Wikimania Willkommensparty. Sie findet im International Commerce Centre, dem mit mit 484 Metern und 108 Etagen höchsten Wolkenkratzer in Hongkong. Für die Feier haben die örtlichen Organisatoren die Aussichtsplattform „Sky100“ in 393 Metern Höhe gemietet. In weniger als einer Minute sind wir mit einem rasend schnellen Fahrstuhl oben. Dort eröffnet sich ein Panorama, dass seinesgleichen sucht. Auf drei Seiten blickt man über die Stadt, während die andere dem Meer zugewandt ist. Einem Meer, das voll mit Schiffen ist. Sie sind weiterer Hinweis auf die wirtschaftliche Stärke Asiens. Doch zurück zur Party. Nach kurzem Begrüßungsworten von Wikipedia-Gründer Jimmy „Jimbo“ Wales und Jeromy-Yu Chan, dem Leiter des örtlichen Organisationskomitees der Wikimania, darf vor dieser unglaublichen Kulisse gefeiert werden. Allerdings sind kurz nach Sonnenuntergang nahezu alle Fotografen an den Fenstern, um die Skyline bei Nacht einzufangen. Andere verlieren sich in intensiven Gesprächen mit Wikipedianern aus der ganzen Welt. Viele von ihnen verpassen so das wirlich leckere Buffet, wirken aber trotzdem glücklich, als die Party schließlich endet. Alles in allem war es eine sehr geungene Feier. Obwohl ich meine Postkarten nicht mehr losgeworden bin, denn außer mir haben auch mehrere Andere Wikipedianer die gleiche Idee gehabt, so dass wir nun auf dem wohl größten Postkartenberg Hongkongs sitzen. Irgendjemand wird sie in den kommenden Tagen aber bestimmt noch brauchen. Da bin ich mir ganz sicher.
Ein Bus bringt uns schließlich wieder zurück in unsere Unterkunft. Viele ziehen von dort noch weiter, mich jedoch verschlägt es ins Bett. Schließlich beginnt morgen die eigentliche Wikimania.