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Wikipedianer aktiv gegen Abschiebung

Zweiter Tag der Pre-Conference. Während ich das Leben hier in vollen Zügen  genieße, erreichen mich schlechte Nachrichten aus einem Land, das nicht müde wird, überall in der Welt die Einhaltung von Menschenrechten und die Wahrung der Menschenwürde einzufordern. Es ist Deutschland.

Eindrücklich beschreibt mein Wikipedia-Kollege Nirakka, was ihm auf seinem Flug mit Qatar Airways nach Hongkong wiederfahren ist. Ich danke ihm ausdrücklich, dass er dies im Kurier, dem internen Nachrichtenblatt der Wikipedia-Gemeinschaft, veröffentlicht hat. Dort schreibt er unter der Überschrift „Wikimedians meet Refugees„:

Zur Konferenz für freies Wissen? Hier, bitte links entlang. Abschiebung in ein vietnamesisches Gefängnis? Bitte nach rechts.

Zugegeben, die Situation war weniger extrem. Subtil war sie jedoch nicht. Beim Betreten der Maschine QR 054, die am 1. August planmäßig um 16:30 Uhr am Flughafen Tegel in Richtung Doha abheben soll, merkt man sofort, dass etwas nicht stimmt. Die untentwegt lächelnden Stewardessen am Eingang, die ständig aktivierten Nichtraucher-Zeichen, die stickige Kabinenluft … alles wie gewöhnlich. Ungewöhnlich vielmehr die lautstark schluchzende Frau in der letzten Reihe. Ebenso ihre Sitznachbaren, zwei große, wohlgenährte Männer in Anzügen, mit betont ausdruckslosem Gesicht. Ferner die Familie, einige Reihen weiter vorne; die Mutter diskutiert mit der Stewardess. I will not leave, as long she is on board, betont sie immer wieder, indem sie auf die Frau in der letzten Reihe deutet. Die bizarre Szene entpuppt sich schnell als Situation, die in den letzten Monaten keine Seltenheit ist: Die Frau in der letzten Reihe ist nicht freiwillig im Flugzeug, sie wird abgeschoben. Die protestierende Familie, mutige Passagiere, wie ZEIT Online sie jüngst bezeichnete. Auch ich will mutig sein und stelle mich dazu. Das sei doch keine würdige Behandlung, ein Unding, was die Frau denn verbrochen habe, und überhaupt. Es wird protestiert, diskutiert, geschimpft. Die Stewardess holt den Steward, der Steward den Captain, der Captain schickt wieder den Steward. Die Entscheidung: Wer fliegen möchte, setzt sich hin. Wer stehenbleibt, wird unboarded. Und wenn die Frau selbst aufstehe? Das werde sie nicht, dafür sorgen die beiden Herren. Weitere Diskussionen, der Steward wird laut, ich ebenso, der Steward stellt ein Ultimatum, binnen 10 Sekunden müssen wir uns entscheiden. Die Frau schluchzt noch immer, einer ihrer Begleiter mischt sich ein und belehrt uns mit Orwellschem Feingefühl, es sei doch gar keine Abschiebung, die Frau werde lediglich zurückgeführt. In ihre Heimat, nach Vietnam, in ein vietnamesisches Gefängnis. Schließlich kommt es, wie es kommen muss: Polizeibeamte betreten die Maschine; das Flugzeug wird starten, mit oder ohne uns. Wir geben nach.

Wir haben getan, was wir konnten. Zu wenig, um die Abschiebung zu boykottieren. Genug, um das eigene Gewissen zu beruhigen. Nun heißt es: Hongkong, Sightseeing, Wikimania. Ein fader Beigeschmack jedoch bleibt.

Ich ziehe meinen Hut vor so viel Courage, auch wenn Nirakka am Ende doch nachgegeben hat. Denn leider haben sich die anderen Passagiere dem Protest nicht angeschlossen, so dass er wohl keine andere Wahl hatte. Immerhin hat er die ihm (und damit uns allen) zur Verfügung stehenden Mittel soweit ausgenutzt, wie es ihm in dieser Situation möglich war. Es ist wichtig, ein Zeichen gegen diese Abschiebepraxis zu setzten. Auch mit der Tastatur. Denn was im völlig verharmlosenden Amtsdeutsch als Rückführung bezeichnet wird, bedeutet häufig, die Betroffenen  in die Hände ihrer Verfolger auszuliefern oder sie in ein Land zurückzuschicken, das ihnen fremd geworden ist.

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