Zweiter Tag in Fernost. Nachdem ein altbekannter Wikipedianer und ich gestern in einem Internetchat feststellten, dass wir in Tsim Sha Tsui nur einen Steinwurf voneinander entfernt wohnen, treffen wir uns zum Frühstück.
Dabei erzählt er mir von einem Artikel im Blog des Wall Street Journal über Hongkongs versteckte Cafés, die sich auf der Flucht vor großen Ketten wie Starbucks oder der Pacific Coffee Company in die oberen Etagen der Häuser zurückgezogen haben, da sie die Mietpreise zu ebener Erde nicht mehr bezahlen wollen oder können. Wir beschließen, der Sache auf den Grund zu gehen. Voller Tatendrang machen wir uns mit mehreren Adressen, die in dem genannten Artikel genannt werden, auf den Weg. Schon die erste Adresse ist nicht auffindbar. Auch die zweite nicht und die dritte sowieso nicht. Entweder sind die Cafés wirklich so versteckt, dass nur Einheimische sie finden, oder aber der Markt ist so stark in Bewegung, dass sie inzwischen an anderen Orten beheimatet sind. Eine Frage, deren Antwort wir zunächst nicht kennen.
Der Hunger treibt uns schließlich in das Charlie-Brown-Café in der Cameron Road 58-60. Es ist nicht zu übersehen. Schon von weitem lockt die Leuchtreklame mit bekannten Gesichtern. Und auch im Treppenhaus begrüßen uns mehrere Figuren aus der Kult-Serie. Oben angekommen, betreten wir schließlich das Charlie-Brown-Universum und bestellen Kaffee. Der braucht zwar eine ganze Weile, bis er den Weg zu uns findet, ist aber für Hongkonger Verhältnisse erstaunlich gut.
So gestärkt begeben wir uns in den Kowloon-Park. Er entstand auf dem Gelände einer früheren Kaserne für indische Soldaten und ist eine grüne Oase im Großstadtdschungel. Sie bietet Erholung von den Menschenmassen, die einen in Kowloon immer umgeben. Es ist angenehm ruhig in dem Park, der von hübschen Wasserläufen durchzogen ist. In ihnen tummeln sich Schildkröten und Flamingos. Menschen sieht man hingegen kaum. Fast möchte man meinen, in der freien Natur zu sein, wenn nicht unmittelbar hinter den Bäumen die Häuser in den Himmel ragen würden.
Nachdem wir den Park durchquert haben, stehen wir schon fast am Uhrenturm der ehemaligen Kowloon-Canton Railway (KCR) Station. Er ist eines der wenige Relikte aus vergangenen Tagen, die in Hongkong stehen blieben. Der 1915 errichtete Turm gehörte zum südlichen Endbahnhof der KCR, der 1975 stillgelegt wurde. Der Zugbetrieb führt seither über den Bahnhof Hung Hom. Für die alte Station gab es danach keine Verwendung mehr, so dass man sie 1978 abreißen ließ. Anschließend entstanden auf dem Areal moderne bauten. Nur noch der Uhrenturm kündet von der früheren Bestimmung. Wer mag, kann sich aber im Hongkong Railway Museum ein maßstabsgetreues Modell des alten Bahnhofs anschauen.
Unmittelbar neben dem Uhrenturm legen die Schiffe der Star Ferry ab. Für Besucher der Stadt ist die Fahrt von Kowloon nach Hongkong Island ein absolutes Muss. Die fahrt quer über den Victoria Harbour vorbei an der beeindruckenden Skyline ist zu jeder Zeit atemberaubend – und spottbillig: Für nur 2,50 Hongkong Dollar (HKD) bringt sie uns in 15 Minuten herüber in den ältesten Teil der ehemaligen britischen Kolonie. Davon zeugt heute nur noch wenig. Die Insel ist fast ausnahmslos mit modernen Hochhäusern bebaut, deren Architekten sich einen Wettlauf um immer gewagtere Entwürfe geliefert haben dürften. Nur ab und an trifft man auf koloniale Bausubstanz, die zwischen all den neuen Gebäuden etwas verloren wirkt.
Ziemlich anachronistisch wirkt auch die doppelstöckige Straßenbahn der Hongkong Tramways. Wie schon bei der Fähre ist auch hier die Fahrt unglaublich aber genauso empfehlenswert. Nachdem man sich erst einmal den Weg nach oben durchgekämpft hat, schnappt man am besten den Sitzplatz in der ersten Reihe und genießt den Ausblick, der sich einem bietet, während das urtümliche Gefährt durch die verstopften Straßen rumpelt.
Wir steigen in unmittelbarer Nähe zum Victoria Park aus. Auch er bietet den für Hongkong so typischen Kontrast zwischen Grünoase und Hochhausschluchten, ist aber besser besucht als der Kowloon Park. Der Victoria Park ist eine Art Mekka der Sportfreunde der Stadt. Es gibt mehrere Fußball- und Tennisplätze sowie extra für Jogger ausgewiesene Wege. Über alle wacht Queen Victoria, deren Statue am Eingang des Parks steht. Inmitten der Grünanlage riecht es dagegen häufig nach Benzin. Zudem ist es laut. Der Grund dafür offenbart sich uns schon bald: Es ist ein See, auf dem hochgerüstete Modellboote mit schier unglaublichen Geschwindigkeiten ihre runden ziehen. Sogar U-Boote tauchen ab und an auf. Am Ufer stehen Herren in den besten Jahren und fachsimplen über die Technik. Plötzlich einsetzender heftiger Regen zwingt uns allerdings weiter unter das Dach eines großen Cafés mitten im Park, wo wir Zuflucht vor den sintflutartigen Fluten finden, die aber schon nach wenigen Minuten vorüber sind. Abkühlung gebracht haben sie nicht. Im Gegenteil: War es vorher schon unangenehm heiß, kommt nun noch eine unerträgliche Luftfeuchtigkeit dazu.
Gut, dass die Rückfahrt mit der Fähre nach Kowloon eine kleine Erfrischung bringt. Dort wartet ein weiteres touristisches Highlight auf uns: Allabendlich beginnt um 20 Uhr auf den Hochhäusern am gegenüberliegenden Ufer die 20-minütige „Symphony of Lights“, die weltweit größte dauerhafte Laserschow. Auf mehr als 40 Gebäuden erstrahlen dabei die Laser im Rhymtmus täglich wechselnder musikalischer Begleitung. Aber auch ohne Show ist der Blick hinüber nach Hongkong Island Nachts wunderschön und für Fotografen eines der absoluten Highlights der Reise.