Virtual Reality wird den den Journalismus verändern: Ob Polizeieinsatz beim G20 Gipfel in Hamburg, tauchen mit Hammerhaien in tropischen Regionen, oder als Häftling im Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen – mit 360 Grad Videos katapultiert man den Zuschauer ins Zentrum des Geschehens und kann ihn zu Orten begleiten, die er in der Realität niemals so betreten könnte. Die Technik dafür ist längst ausgereift, die Kosten für die Hardware relativ gering. Höchste Zeit also, sich über das Storytelling Gedanken zu machen. Denn Filmen in 360 Grad unterscheidet sich grundlegend von herkömmlichen Filmtechniken. Wie erzählt man also eine Geschichte in 360 Grad? Das ist eine Frage, der wir, (der Hamburger Filmemacher Matthias Sdun und ich) uns auch bei unserem Projekt Lostfriesland und bei der Entwicklung der dazugehörigen Apps (für Android und iPhone erhältlich) stellen mussten. Die dabei gemachten Erfahrungen fasse ich in diesem Beitrag zusammen.
- Planung ist alles: Überlege, welche Geschichte du erzählen willst. Auch ein 360-Video darf nicht langweilig sein. Versuche, den Film mit einem Storyboard zeichnerisch zu visualisieren oder in einem Drehbuch niederzuschreiben und besprich es mit Freunden oder der Familie. Überlege, wann du wo was drehen willst und ob du Drehgenehmigungen brauchst.
- Achte auf die Länge: Die Aufmerksamkeitsspannne im Netz ist kurz: Auch bei 360-Grad-Videos liegt die Ideallänge zwischen zwei und dreieinhalb Minuten. Ein starkes Einstiegsbild hilft, den Zuschauer in das Geschehen hineinzuziehen.
- Langsamer Erzählstil: Der Zuschauer braucht Zeit, um sich zu orientieren. Die Geschichte muss deshalb viel langsamer als im normalen Film erzählt werden. Während dort einzelne Clips manchmal nur für wenige Sekunden zu sehen sind, sollte jede Panoramaaufnahme mindestens für 30 Sekunden gezeigt werden, damit sich der Zuschauer in Ruhe umsehen kann.
- Einfache Geschichten funktionieren am besten. Das Medium 360° ist relativ jung und ungewohnt. Die Filme dürfen den Zuschauer nicht mit einer extrem komplexen Geschichte überfordern.
- Übergänge sind wichtig. Während der klassische Filmschnitt möglichst unauffällig arbeitet, um den Zuschauer nicht aus der Erzählung herauszureißen, führen harte Schnitte in 360-Grad Videos schnell zur Desorientierung. Szenenwechsel sollten deshalb deutlich sichtbar sein. Eine weiche Überblendung hilft, den Zuschauer nicht zu verwirren.
- Kamerabewegungen möglichst vermeiden: Schnelle Schwenks und heftige Bewegungen führen bei vielen Zuschauern schnell zu Übelkeit. Verstärkt geschieht dies, wenn das Video mit einem Headset angeschaut wird. Soll trotzdem die rasante Achterbahnfahrt, der Falschirmsprung oder eine Fahrt mit einem Formel-1-Wagen gezeigt werden, braucht der Zuschauer einen Fixpunkt, an dem er sich orientieren kann. Hilfreich ist es, dem Zuschauer im Vordergrund unbewegte Elemente zu zeigen: Teile des Helms, auf dem die Kamera montiert ist, die Motorhaube des Formel-1-Wagens oder die vordere Partie der Achterbahngondel geben dem Betrachter die Möglichkeit, sich virtuell festzuhalten. Zudem sollten die Bewegungen in der Regel nur vorwärts, langsam und gleichmäßig erfolgen. Wo immer möglich sollte die Kamera fest auf einem Stativ befestigt werden.
- Bildkomposition: Auch (und gerade weil) sich der Zuschauer frei bewegen kann, ist eine überlegte Bildgestaltung immens wichtig, um die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf einen Punkt zu lenken. Sonst tritt der eigentliche Inhalt des Videos in den Hintergrund. Schlimmer noch: Der Zuschauer fühlt sich verloren und weiß gar nicht, was er eigentlich sehen soll.
- Wähle die Startansicht mit bewusst aus: Gib dem Zuschauer Hinweise darauf, was er sehen kann und wo seine Hauptaufmerksamkeit liegen sollte. Solltest du die Kamera beim Dreh versehentlich falschrum gehalten haben, lässt sich das mit verschiedenen Apps und Programmen behebn. Mit ihnen kannst du, eine andere als die aufgezeichnete Startperspektive auswählen.
- Achte auf die Umgebung: Um ein möglichst sauber zusammengesetztes Bild zu erzeugen, drehen mit einer Belichtungseinstellung aufgenommen. Große Helligkeitsunterschiede sind dabei sehr problematisch. Eine tiefstehende Sonne oder eine helle Lampe können dabei schnell zu ausgebrannten Bereichen führen.
- Der Horizont ist wichtig für die Orientierung. Er sollte gerade sein. Hilfreich für die Ausrichtung ist ein Stativ mit Wasserwaage.
- Auf die Aufnahmehöhe achten: Rundumsichten aus ungewöhnlichen Perspektiven haben ihren Reiz für bestimmte Zwecke. Aufnahmen in extrem geringer Höhe verschenken aber viel Raum, da der Boden einen Großteil des gezeigten Bildes ausmacht, wie es beispielsweise in diesem Video über Blattschneideameisen zu sehen ist. Auch für Mystery-Serien wie Lostfriesland hat es seinen Reiz, den Zuschauer in eine Perspektive zu zwingen, aus der er zu einem herauf- oder harabsehen muss. Eine Kamera „auf Augenhöhe“ ist die natürlichste Kameraperspektive.
- Auf den Kameraabstand achten: Objekte, die sehr nah an der Kamera platziert sind, werden extrem verzerrt dargestellt. Soll ein Moderator oder andere Menschen gezeigt werden, empfiehlt sich ein Mindestabstand von anderthalb Metern zur Kamera.
- Guter Sound ist das A und O: Auch mit Tönen lässt sich die Aufmerksamkeit des Zuschauers in eine bestimmte Richtung steuern. Dafür ist eine gute Tonqualität immens wichtig. Nutze deshalb wo immer möglich ein externes Mikrofon. Inzwischen sind auf dem Markt Modelle erhältlich, die Klänge aus verschiedenen Richtungen aufnehmen können und damit ein noch intensiveres Raumerlebnis schaffen. Wie das klingt, hörst Du in diesem Beispiel (am besten ist das Erlebnis mit Kopfhörern). Aber auch ein klassisches Mikrofon ist immer noch um Längen besser als jedes Interne Mikro einer 360-Grad-Kamera.
- Schreibe einen Voice-Over-Text. Er hilft dem Zuschauer, das Geschehen um sich herum einzuordnen. Überlege, was Du persönlich an Hintergrundinformationen liefern möchtest, wie Du den Zuschauer ansprechen möchtest. Während eine angenehme Stimme erklärt, was zu sehen ist, kann er sich in Ruhe umschauen. Er fühlt sich begleitet und nicht einfach in den Raum gestellt. Eingeblendete Texttafeln helfen ebenfalls bei der Orientierung und machen zudem die Informationsaufnahme ohne Ton möglich.
- Veröffentliche den Film bei Youtube, Vimeo oder einer anderen Videoplattform. Willst du den Film auch bei Facebook zeigen, solltest du ihn dort parallel hochladen. Auch wenn es inzwischen Plugins für WordPress gibt, die das Abpielen von 360-Grad-Videos erlauben, laufen diese stabiler auf einer der großen Plattformen. Ein weiterer Vorteil: Die Youtube & Co. sind soziale Netzwerke über die man Zuschauer erreicht, die sonst nicht auf dem Blog oder der Firmenseite landen würden.