Tag eins und Tag zwei meines Besuches in London gehen fließend ineinander über. Am Abend treffe ich mich zunächst mit „ze Germans“ im William-Blake-Pub. Es ist ein fröhliches Wiedersehen mit vielen alten Bekannten und italienischem Bier. Anschließend geht es zur Eröffnungsfeier zurück ins Barbican Centre.
Dort bleiben die Reden erfrischend kurz. Es sprechen zunächst Hauptorganisator Ed Saperia und Jon Davis, der Direktor der britischen Wikimedia. Nach ihnen betritt Wikipedia-Gründer Jimmy Wales die Bühne und stellt den ersten veröffentlichten Transparency Report der Wikimedia Foundation (WMF) vor. Demnach hat das „Recht auf Vergessenwerden“ bisher nur zu wenigen Aufforderungen geführt, Wikipedia-Inhalt zu löschen. Die im Mai erlassene Regleung ermöglicht es europäischen Bürgern zu verlangen, dass Links zu „mehr aktuellen oder relevanten Informationen“ aus den Suchergebnissen entfernt werden. Dabei bleiben die Web-Seiten, auf denen die unliebsamen Informationen stehen, online. Nur in den Suchmaschinen wie etwa Google, Yahoo und Bing dürfen sie nicht mehr auftauchen..
Dass es bisher kaum zu Löschungen von Wikipedia-Links gekommen ist, führt Wales auf den behutsamen Umgang der Wikipedianer mit Urheber- und Persönlichkeitsrechten zurück. Dennoch sei die Regelung falsch, so Wales, da sie dazu führen könnte, dass sich im Internet „große Erinnerungslücken“ breit machen. „Ich stand selbst für eine geraume Zeit im Licht der Öffentlichkeit“, sagt der 48-Jährige, „und einige Menschen sagen gute Dinge über mich, andere dagegen haben eine schlechte Meinung von mir. Aber all das ist Teil meiner Geschichte und ich würde niemals einen Prozess anstrengen, um die Wahrheit zu unterdrücken. Das ist zutiefst unmoralisch.“
Als nächste stellt sich Lila Tretikov, seit Juni als Nachfolgerin vo Sue Gardner Geschäftsführerin der WMF in San Francisco, erstmals dem Publikum der Wikimania vor. Auch sie steht dem „Recht auf Vergessenwerden“ bekanntlich kritisch gegenüber. Auf ihre eigene Biografie Bezug nehmend zog sie Parallelen zwischen Wikipedia und dem politischen Tauwetter in der Sowjetunion der 80-er Jahre. „Glasnost lehrte mich viel über die Freiheit der Information“, erklärte die 36-Jährige, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Alter von 16 Jahren von Moskau nach New York City zog. Welche Marschrichtung sie in der Zukunft mit den Wikimedia-Projekten einschlagen will, verriet sie aber nicht. Allerdings hatte sie sich unmittelbar nach Arbeitsantritt in ihrer ersten Stellungnahme für mehr Vielfalt in der Wikipedia ausgesprochen. Es bleibt also spannend. Von den Rängen bekam sie am Ende ihrer Ausführungen wohlwollenden Applaus, auch wenn echte Begeisterung ausblieb.
Salil Shetty, Generalsekretär von Amnesty International, weiß dagegen schon von Anfang an zu begeistern. Seine Ansprache ist eine gelungene Mischung aus Spaß und Ernst. So berichtet er dem Publikum von einem Abendessen mit einer Wikipedianerin. Als diese ihm sagte, sie sei GLAM, habe er sich von ihrem Selbstbewusstsein überrascht gezeigt, aber ihr schon zugestimmt. „Später fand ich dann heraus, dass GLAM eine Abkürzung ist.“ Danach erklärt Shetty, wie viel Gemeinsamkeiten Amnesty International und die Wikimedia Foundation als von Freiwilligen angetriebene Projekte haben. „Es sind zwei der großartigsten Bewegungen unserer Zeit“, so Shetty zum Abschluss einer Rede.